Frank Schroeder

und seine Bücher

König für einen Tag

Biografische Annäherungen an den Komponisten Wolfgang Streiber

Mit Tagebuchauszügen und einem Werkeverzeichnis

LundiPress Verlag Eichstätt, Broschur,

72 Seiten, ISBN 3-9801648-7-x

Preis: € (D) 9.90 


 


 


 

Kurzinhalt:

Wolfgang Streiber (1934 - 1959), ein behinderter Komponist aus Hannover, der lediglich seinen Kopf und seine Hände etwas bewegen konnte, wurde nur 24 Jahre alt - dennoch umfasst sein kompositorisches Werk 80 Einträge, viele davon wurden vom Orchester des Opernhauses Hannover und vom Sinfonieorchester des NWDR eingespielt. Unter seinen Werken befinden sich eine Oper und zahlreiche Konzerte für großes Orchester. Kürzlich wurde sein Trio in C im Theatermuseum Hannover erneut aufgeführt, ebenso der 2. Satz seines Cellokonzerts in einer Bearbeitung für Cello und Klavier im Kanapee Hannover.  Ausgewählte Werke von Wolfgang Streiber erschienen auf einer Schallplatte (OCT 8009), dennoch wurde es in den 60er Jahren, nach seinem Tod, recht ruhig um den frühreifen Komponisten der tonalen Moderne, der Bartok und Hindemith zu seinen Vorbildern zählte. Spätestens mit dem Erscheinen der Streiber-Biografie sollte sich das ändern. Frank Schroeder beschreibt anhand der Tagebücher das kurze Leben Wolfgang Streibers - es war geprägt von Arbeit an seinen Kompositionen, von Verzweiflung über seine enorme körperliche Behinderung und von seelischen Leiden.


 

Leseprobe:

Ich habe viele Noten zusammengeschrieben. Augenblicklich habe ich genug davon.

Spürt Wolfgang Streiber, als er diese Notiz in sein Tagebuch schreibt, dass dieses seine letzte Aufzeichnung sein wird? Gewinnen Depressionen entgültig die Oberhand? Wenige Monate später, gerade erst ist er vierundzwanzig Jahre alt geworden, wird man ihn in Hannover beerdigen, an einem kalten, zugigen Januartag. Sein Grab ist längst eingeebnet, unauffindbar auf ewig; was von ihm bleibt: Eine Handvoll Kompositionen, wenige Fotos, Tagebücher, Erinnerungen. Schatten nur, die durch unsere Gedanken schweben, bis auch jene vergangen sind.

Und der Ruhm? Und das Werk? Flüchtiger noch als Schatten; am Ende nicht mehr als am Beginn: Vergänglichkeit.

Die Welt, in die Wolfgang Streiber hineingeboren wird, ist ihm nicht wohlgesinnt, von allem Anbeginn nicht. Die Mutter, Luise, berichtet ihrem Ehemann Alfred schon am Tag der Geburt, dass sie ein merkwürdiges Gefühl habe. Das Kind sei so seltsam. Kurz darauf ist es Gewissheit: Wolfgangs Überleben ist nicht sicher. Und wenn er die ersten Tage, Wochen, übersteht, wenn er wider Erwarten wachsen sollte, wird er sich doch nie ohne Rollstuhl bewegen können, wird er ein Leben lang ein intensiver Pflegefall bleiben. Einen Moment, aber nur einen Moment, zögert sie, ob sie sich wenigstens das wünschen soll.

Der Säugling spricht kaum auf äußere Reize an, er ist offensichtlich gelähmt. Eine bange Frage dominiert die ersten Lebensjahre: Sind es nur körperliche Behinderungen, die ihm zu schaffen machen, oder ist er auch geistig gestört?

....... Das folgende Gespräch zwischen Vater und Sohn ist überliefert: Sag mal, Wolfgang, hörst du das denn, wenn du so etwas schreibst? - Ja sicher. Hörst du das denn nicht, wenn du es spielst? - Ja wenn ich es spiele, dann habe ich ja die Noten vor mir, aber du erfindest das doch? - Das hört man. Ja, das hört man.

Das hört man - aber, so fragt sich der Vater, erkennt das Kind auch die Töne, wenn ich sie am Klavier anschlage? Für Wolfgang ist das keine Frage. Dem Vater zuliebe spielt er das Spiel mit. Der gibt ihm ein A. Das ist das A, sagt er. Dann spielt er ein Cis. Cis, sagt Wolfgang. Dann ein G. G! Ais. Ais, sagt Wolfgang, schon gelangweilt. D. D! Wie lange noch! Cis und Dis gemeinsam. Cis und Dis ruft Wolfgang, und nun spiel ruhig noch das B dazu, das hört man doch alles! Von diesem Moment an weiß der Vater: Wolfgang hat das absolute Gehör ...


 

Leseprobe II aus dem Anhang: 

Aus den Tagebuchaufzeichnungen Wolfgang Streibers

27. Dezember 1955: Im Augenblick ist es so, als ob das Leben eine einzige Hölle wäre. Ich bin zeitweilig von einer Gleichgültigkeit, ja geradezu von einem Hass gegenüber der Menschheit gestimmt, was nur einem Gefühl entspringen kann: Dem Gefühl des Ausgestoßenseins.

18. August 1956: Mitten in meine Arbeit hinein, an den vom Tode bestimmten Szenen meines "Kramer", erreichte uns die Nachricht vom Ableben meiner Großmutter, für die es eine Erlösung von schweren Leiden war. Und doch, die Mitteilung des Todes, noch dazu in der eigenen Familie, hat etwas Seltsames, Bedrückendes. Es ist eine Mahnung an das Fortschreiten der Zeit, an das Sichaneinanderreihen der Toten wie eine unaufhörliche Kette. Es ist auch eine Mahnung an mich ...